Warum auf Arztrezepten künftig „Gartenarbeit“ stehen sollte!

Warum auf Arztrezepten künftig „Gartenarbeit“ stehen sollte!

Gartenarbeit

Vor ein paar Wochen besuchte ich das erste Mal den eigens erbauten Hühnerstall einer Freundin. Die Hühner saßen auf der Stange und schauten uns zufrieden an. Seit circa einem halben Jahr besitzt sie 8 Hühner und kümmert sich selbstverständlich tagtäglich um die Versorgung ihrer Schützlinge. Beim Betrachten des Stalls und der liebevoll bezeichneten „Candy-Bar“, die mit allerlei Hühnerleckereien, wie zum Beispiel Nüssen und Rosinen ausgestattet war, machte sich ein Gefühl von Sehnsucht in mir breit. Eine Sehnsucht nach einem „einfacheren, entschleunigten“ Leben. Wie toll wäre es, Eier zu verarbeiten, die von Hühnern gelegt wurden, die man selbst versorgt hat und nicht in einen Supermarkt zu gehen und eine Packung aus dem Regal zu nehmen, bei der jeglicher Bezug zum Tier fehlt.

Wahrscheinlich bin ich nicht die einzige Person in der heutigen Zeit, in der ein solcher Wunsch keimt. 

Schon lange geht der Trend zum eigenen Gemüsebeet oder einem Stall, in dem die eigenen Hühner gehalten werden. Doch was ist das faszinierende an diesem Trend und wie können auch Sie mit kleinen Schritten Ihre eigenen Lebensmittel herstellen? In diesem Beitrag lege ich meinen Fokus auf die Gartenarbeit, da diese auch für Einsteiger am leichtesten umsetzbar ist.

Powerbank „Natur“

Warum können wir in der Natur am besten abschalten?

Unsere Zivilisation hat sich im Laufe der Jahre weit von der damaligen Natur distanziert. Gerade die Industrialisierung übergab das Machtzepter an neue Technologien. Viele Menschen flüchten heutzutage in die Natur, um genau von diesem technologisierten, digitalisierten und durchorganisierten Leben Abstand zu bekommen. Dies lässt sich auch in einem Wandel der Werte erkennen. Vor nicht allzu langer Zeit galten teure Autos oder schicke Häuser als Statussymbole. Heute wird mehr Zeit und Geld in Reisen, Abenteuer und Erlebnisse mit der Familie, Freunden oder auch allein investiert. Und genau diese Zeit verbringen viele Menschen in der Natur und teilweise auch im Garten beim Säen, Pflegen oder Ernten altbekannter oder auch neumodischer Gemüsesorten.

Doch auch die Natur selbst hat erwiesenermaßen einen positiven Einfluss auf die Menschen.  Aber warum? Kaplan & Kaplan (1989)[1] unterscheiden in ihrer „Attention Restoration Theory“ zwei Arten von Aufmerksamkeit. Die mühevolle, gerichtete und die mühelose, ungerichtete Aufmerksamkeit. Die Natur bietet perfekte Voraussetzungen zur Entspannung, weil sie keine gerichtete Aufmerksamkeit erfordert. In der Natur kann man seine Aufmerksamkeit schweifen lassen; wird nicht durchgängig von einem Tsunami aus Straßenlärm, Werbeanzeigen und Menschenmassen überflutet. Die Natur zeichnet sich gerade durch das Fehlen dieser ständigen Reize aus und stellt dadurch eine Quelle der Entspannung dar.

Powerbank „Garten“

Und was hat Gärtnern mit all dem zu tun?

Es gibt viele Gründe, sich mit der teilweisen eigenen Versorgung mit Obst, Gemüse, Kräutern oder Eiern zu beschäftigen.

Dabei spielen zahlreiche Lebensmittelskandale wie z.B.  der Pferdefleischskandal 2013 oder mit dem EHEC-Bakterium verseuchte Nahrungsmittel zwar eine entscheidende, aber längst nicht die einzige Rolle.

Wie viele Kinder wissen wohl nicht, woher die Milch kommt, in der ihr Müsli morgens schwimmt?

Die Menschen entfremden sich von den Produkten der Supermärkte und ihrer Herstellung. Dies wiederrum führt langfristig zu einer geringeren Wertschätzung der Produkte. Wenn man nicht weiß, wie aufwendig, kostspielig und arbeitsintensiv die Milcherzeugung ist, kann man auch keinen geeigneten Preis selbst abschätzen und das Endergebnis wertschätzen. Die ständige Verfügbarkeit aller möglichen Lebensmittel ist hierbei sicherlich das i-Tüpfelchen. Man kann heute ganz selbstverständlich schöne, rote Tomaten zu Weihnachten oder Orangen und Mandarinen im Frühling kaufen, von der geliebten Avocado mal ganz abgesehen. Viele Menschen wissen eventuell gar nicht, welches Obst oder Gemüse aus welchem Land kommt und wo und wann Saison für eben diese ist.

Die Pflege selbst gezüchteter Lebensmittel kann die Wertschätzung der Natur wieder fördern und dreht dem allgegenwärtigen Konsum, dem damit verbundenen Transport und einer Überproduktion von Lebensmitteln den Rücken zu. Wenn auch erstmal nur in einem 90° Grad Winkel, denn Hobby-Gärtner sind noch lange nicht mit kompletten Selbstversorgern gleichzusetzen. 

Auszeit für den Kopf

Doch auch persönliche Gründe stehen im Vordergrund dieses Trends. Der Großteil der Arbeitnehmer arbeitet am Computer oder wird von Maschinen entlastet. Das heißt, die Arbeit hat sich von einer „hand-fokussierten“ Arbeit zu einer Arbeit für den Kopf entwickelt. Mit den eigenen Händen etwas zu erschaffen und sich im wahrsten Sinne des Wortes mal wieder die Hände schmutzig zu machen ist deshalb für viele eine neue Erfahrung, die man bei der Gartenarbeit machen kann. Man sät, pflegt und erntet sein eigenes Essen und auch Einsteiger haben schnell Erfolgserlebnisse. Man erschafft etwas mit den eigenen Händen und bekommt greifbare Ergebnisse dieser Arbeit. Mit diesen Ergebnissen kann man dann zu guter Letzt auch noch einen Teil der Grundbedürfnisse stillen. Um es auf den Punkt zu bringen: man erfährt eine erhöhte Selbstwirksamkeit! Last but not least: Man lebt die eigene Kreativität aus, weiß wo der Salatkopf auf dem Mittagstisch herkommt und kann die Intensität und Qualität wirklich frisch geernteter Lebensmittel nicht verleugnen.

Somit stellt diese Freizeitbeschäftigung und die damit verbundene Zeit in der Natur einen doppelten Energiekick dar.

Psychologische Forschung

Auch die psychologische Forschung befasste sich in letzter Zeit vermehrt mit dem Thema „Selbstversorgung“ und „Hobby-Gärtnern“. So wurden die positiven Auswirkungen auch wissenschaftlich untersucht und belegt.

Neben den offensichtlichen Vorteilen wie z.B. verbesserter Zugang zu Nahrungsmitteln, verbesserte Ernährung und eine gesteigerte körperliche Aktivität wurden auch hormonelle Unterschiede untersucht. Es zeigte sich, dass durch Gartenarbeit eine Abnahme des Cortisolspiegels, dem so genannten Stresshormon, zustande kommt. Folglich fördert diese Freizeitbeschäftigung die Linderung von akutem Stress und hat somit eine stressabbauende Wirkung (Van Den Berg et al., 2011) [2]. Gestützt werden diese Ergebnisse durch eine Studie mit psychisch erkrankten Erwachsenen. Probanden, die an einer gartenbasierten Intervention teilnahmen, hatten verringerte Symptome von Depressionen und Angstzuständen und erlebten positive Auswirkungen in emotionalen, sozialen und physischen Bereichen (Clatworthy et al., 2013)[3].

Die Wertschätzung der Natur ist eine wichtige Motivation für den Gartenbau und auch die Nutzung der Natur ist positiv mit Zufriedenheit verbunden.In der Studie mit Personen ab 50 Jahren von Sommerfeld et al. (2010)[4] wurden als Antrieb für die Beschäftigung im Garten körperliche und geistige Gesundheit, Erholung und Kreativität herausgearbeitet. Außerdem zeigte sich, dass diese eine bessere Wahrnehmung der Lebensqualität fördert. Eine Analyse aus dem Jahre 2017 fasste die vorherigen Ergebnisse zusammen und kommt zu dem gleichen Schluss: Gartenarbeit ist einfach gesund.

Tipps zur Umsetzung

Manche Menschen werden jetzt entgegnen: „Ich habe aber gar keinen Garten zur Verfügung und auf dem Balkon kann ich ja auch kein ganzes Beet anlegen.“

Wie kann man also auch innerhalb der Stadt Natur erleben und eine teilweise eigene Versorgung ermöglichen?

Wir hoffen Ihnen mit den folgenden Tipps wertvolle Ideen zu geben.

1. Als erstes schießt einem bei diesem Gedanken der Stadtpark in den Kopf. Inmitten der Stadt kann man in der grünen Umgebung Sport treiben oder einfach die Seele baumeln lassen.

2. Für Personen die keinen eigenen Garten zur Verfügung haben und sich dennoch nach einem eigenen Fleck Natur sehnen, bietet ein Kleingarten die passende Alternative.

3. Und wenn sowohl die Beschäftigung unter freiem Himmel als auch das soziale Miteinander im Vordergrund stehen sollen, gibt es in vielen Großstädten Gemeinschaftsgärten.

4. Auch auf dem heimischen Balkon oder der Terrasse lassen sich in Hochbeeten oder Kübeln Tomaten, Kräuter oder Obst anbauen. Der neuste Schrei sind hier die vertikalen Gärten. So wird der begrenzte Platz auf dem Balkon optimal ausgenutzt und kahle, graue Wände werden durch ein Meer aus Pflanzen ersetzt und optisch aufgewertet.

Und ein letzter Tipp: Auch Lebensmittel, die nicht den EU-Normen entsprechen, sind genießbar. 🙂

Haben Sie sich auch schon selbst Gemüse angepflanzt oder Hühner gehalten? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Haben Sie noch weitere Tipps für Personen ohne eigenen Garten?

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Literaturverzeichnis

[1] Kaplan, R., & Kaplan, S. (1989). The Experience of Nature: A Psychological Perspective. Cambridge, New York: Cambridge University Press.

[2] Van Den Berg, A. E., & Custers, M. H. (2011). Gardening promotes neuroendocrine and affective restoration from stress. Journal of health psychology, 16(1), 3-11.

[3] Clatworthy, J., Hinds, J., & M. Camic, P. (2013). Gardening as a mental health intervention: a review. Mental Health Review Journal, 18(4), 214-225.

[4] Sommerfeld, A. J., Waliczek, T. M., & Zajicek, J. M. (2010). Growing minds: Evaluating the effect of gardening on quality of life and physical activity level of older adults. HortTechnology, 20(4), 705-710.

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